In der Waldstraße in Bremervörde steht sie nun auch: eine Puppe mit warnendem Schild und Warnweste, aufgestellt direkt am Straßenrand. Der Gedanke dahinter ist klar – Autofahrer sollen aufmerksamer fahren, langsamer werden, Rücksicht zeigen. Die Idee wirkt auf den ersten Blick nachvollziehbar. Wer will schon gegen mehr Sicherheit im Straßenverkehr sein, besonders dort, wo Kinder wohnen? Doch bei genauerem Hinsehen wird klar: Solche Puppen sind keine Lösung. Im Gegenteil – sie können das Problem sogar verschärfen.
Ich halte es für einen Irrweg, mit solchen Schreckreizen für mehr Aufmerksamkeit zu sorgen. Der Straßenverkehr lebt von klaren Regeln, eindeutigen Signalen und der Verlässlichkeit von Wahrnehmung. Wer plötzlich eine kindgroße Figur am Straßenrand sieht, rechnet im ersten Moment mit einem echten Kind. Die Folge kann eine heftige Bremsung sein, ein Ausweichmanöver oder gar ein Unfall. Es gibt gute Gründe, warum der Gesetzgeber in vielen Bereichen davor warnt, künstliche Hindernisse oder ablenkende Objekte an der Fahrbahn zu platzieren. Die Verkehrssicherheit hängt nicht nur vom guten Willen ab, sondern vor allem von Berechenbarkeit.
Noch gefährlicher ist aus meiner Sicht aber der psychologische Effekt der Gewöhnung. Wenn solche Puppen häufiger auftauchen – wie es nun offenbar in mehreren Orten der Fall ist –, stumpft die Wahrnehmung ab. Autofahren gewöhnen sich daran, dass das vermeintliche Kind nur ein Plastikobjekt ist. Und was passiert, wenn beim nächsten Mal tatsächlich ein Kind zu nah an der Fahrbahn steht? Wird es dann noch ernst genommen? Oder übersehen, weil man im Kopf schon auf „Fehlalarm“ programmiert ist?
In einem Fall in Baden-Württemberg hatte eine täuschend echte Puppe auf einer Bundesstraße sogar Polizeieinsätze ausgelöst. Anwohner und Verkehrsteilnehmer hielten sie für eine verletzte Person, was zu gefährlichen Situationen führte. In solchen Fällen ist schnell nicht mehr nur von gutem Willen die Rede, sondern von fahrlässigem Verhalten.
Ich verstehe die Sorgen der Anwohner. Viele Wohnstraßen sind zu Rennstrecken geworden, weil der Respekt vor dem Tempo-30-Schild fehlt. Aber hier muss die Kommune handeln, nicht der Bürger mit selbstgebastelten Warnfiguren. Mobile Messanlagen, klare Markierungen, bauliche Maßnahmen – das sind die Instrumente, auf die sich eine funktionierende Stadtgesellschaft verlassen sollte. Und wenn das nicht ausreicht, dann muss man den politischen Druck erhöhen. Aber bitte ohne Pappkameraden. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer es ist, die zuständigen Stellen im Rathaus von einer Maßnahme zu überzeugen. Oft dominiert dort das Prinzip: „Ist doch bisher nichts passiert“ oder „Uns ist dazu nichts bekannt“. Dieses Weggucken vor Verantwortung darf man nicht durch private Ersatzhandlungen entschuldigen, sondern muss es politisch zum Thema machen.
Bremervörde kann mehr als solche Symbolpolitik. Die echte Herausforderung liegt in der Zusammenarbeit zwischen Anwohnern, Verwaltung und Polizei. Wenn irgendwo der Verkehr zu schnell rollt, dann muss das gemeldet werden, geprüft und gehandelt werden – mit Augenmaß, aber auch mit Konsequenz. Sicherheit entsteht nicht durch Überraschung, sondern durch Struktur. Und der Straßenverkehr ist kein Ort für Experimente mit Gewöhnungseffekten. Wer Verantwortung trägt, darf sich nicht hinter Routine oder Statistik verstecken.
Ich halte nichts davon, wenn sich jeder selbst zum Verkehrserzieher macht. Nicht, weil mir Sicherheit egal ist – im Gegenteil. Sondern weil ich weiß, dass Sicherheit im Straßenraum nur dann funktioniert, wenn sie konsequent gedacht und umgesetzt wird. Wer anfängt, mit Puppen zu arbeiten, öffnet die Tür für subjektive Einschätzungen, für Willkür, für Verwirrung. Und das ist das Letzte, was wir im Straßenverkehr gebrauchen können.
Sicherheit braucht klare Regeln, nicht kreative Eigenlösungen. Bremervörde braucht Vertrauen in seine Ordnungspolitik – und den Mut, auch unpopuläre Maßnahmen umzusetzen, wenn sie notwendig sind. Dafür stehe ich. Nicht für Pappfiguren im Straßenraum.
Weiterführende Informationen und Quellen:
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Bericht zur Puppe in Großerlach (Rems-Murr-Kreis):
„Puppe am Straßenrand bremst Autos aus“, Backnanger Kreiszeitung, 29. Mai 2025
www.bkz.de/nachrichten/puppe-am-strassenrand-bremst-autos-aus-966.html -
Polizeimeldung aus Baden-Württemberg zu Schreckreaktionen durch Puppe auf der Fahrbahn:
„Lebensechte Puppe auf Bundesstraße jagt Fahrern gehörigen Schrecken ein“, Pforzheimer Zeitung
www.pz-news.de/baden-wuerttemberg_artikel,-Lebensechte-Puppe-auf-Bundesstrasse-_arid,1024049.html -
Psychologische Einordnung von Gewöhnungseffekten im Straßenverkehr:
„Warum falscher Alarm gefährlich ist“, Verkehrssicherheitsrat Österreich
www.kfv.at → Rubrik Verkehrssicherheit → Psychologie im Straßenverkehr (konkret verlinkbarer Artikel auf Anfrage) -
Hinweis zu rechtlichen Aspekten beim Aufstellen von Objekten im Straßenraum:
„Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr“, § 315b StGB – Bundesministerium der Justiz
www.gesetze-im-internet.de/stgb/__315b.html