Was sich von selbst regelt, braucht keine Verordnung

Es gibt Debatten, die kommen in schöner Regelmäßigkeit auf den Tisch. In Talkshows, sozialen Medien oder politischen Kolumnen wird dann der Eindruck vermittelt, als stehe unsere Gesellschaft am Abgrund. Mal geht es ums Bargeld, mal um Sprachgebrauch, mal um Moralfragen des Alltags. Doch viele dieser Themen regeln sich im echten Leben längst ohne staatliche Vorschriften oder empörte Kampagnen. Die Welt verändert sich. Still, stetig und oft unaufhaltsam. Nicht, weil jemand das angeordnet hat. Sondern weil es praktischer ist. Weil der Alltag es so vorgibt.

Ein Beispiel ist der Umgang mit Bargeld. Seit Jahren geistert die Angst durch das Land, der Staat wolle das Bargeld abschaffen. Die totale Überwachung drohe. Kontrolle statt Freiheit. Es ist eine Debatte, die viele Emotionen weckt. Doch während darüber diskutiert wird, erledigt sich das Thema leise im Hintergrund. Die Jüngeren zahlen längst mit Karte, Smartphone oder Uhr. Bargeld ist ihnen zu langsam, zu unpraktisch, zu altmodisch. Wer sich den klassischen Geldbeutel genau ansieht, merkt schnell: Vieles davon lässt sich digital abbilden. Auch der Personalausweis wird bald auf dem Handy verfügbar sein. Damit wird aus einer Alltagsgewohnheit ein Anachronismus. Nicht, weil eine Regierung das so will. Sondern weil es sich durchsetzt. Dass viele Menschen dennoch am Bargeld festhalten, ist legitim. Niemand will ihnen das nehmen. Und es ist gut, dass sie diese Freiheit haben. Aber die Freiheit bedeutet auch, Veränderungen zuzulassen, wenn sie von unten kommen. Nicht alles muss von oben geregelt werden. Manchmal reicht es, die Dinge sich entwickeln zu lassen.

Ein zweites Beispiel ist die Sprache. Kürzlich hat Dieter Hallervorden für Aufregung gesorgt, weil er in einem Sketch Begriffe aus früheren Jahrzehnten nutzte, die heute als verletzend gelten. Die Empörung war groß. In sozialen Netzwerken überschlugen sich die Reaktionen. Doch wer genau hinsieht, erkennt: Auch hier verändert sich etwas – ganz ohne staatlichen Eingriff. Meine Kinder nutzen solche Begriffe nicht mehr. Ihre Kinder werden sie vielleicht gar nicht mehr kennen. Sprache wandelt sich. Sie passt sich an. Nicht, weil ein Ministerium einen Erlass schreibt. Sondern weil sich unser Empfinden weiterentwickelt.

Solche Veränderungen gelingen nicht durch Zwang oder durch moralischen Druck. Wer glaubt, man könne gesellschaftlichen Wandel durch Sprachverbote oder Sprachgebote beschleunigen, irrt. Im Gegenteil. Empörung, Shitstorms und pauschale Verurteilungen führen dazu, dass sich Gräben vertiefen. Der Blick für das Wesentliche geht verloren. Wir verlieren uns in Symbolpolitik, während die eigentlichen Herausforderungen ungelöst bleiben.

Denn wer gerade nicht weiß, wie er die Miete zahlen oder die Heizkosten stemmen soll, hat wenig Geduld für hitzige Debatten über Begriffe aus den Siebzigern. Wer im Alltag kämpft, fühlt sich durch diese Themen eher verhöhnt als ernst genommen. Und genau hier beginnt das eigentliche Problem: Wenn Politik und Medien an der Lebensrealität vorbeireden, wächst die Entfremdung. Es sind nicht die lauten Themen, die zählen, sondern die stillen Sorgen. Wer die ausblendet, stärkt die extremen Ränder.

Dabei bräuchte es genau jetzt eine klare Haltung. Nicht in Form von Verboten, Geboten oder Belehrungen. Sondern durch Verlässlichkeit. Durch gute Bildung, durch ein leistungsfähiges Gesundheitswesen, durch eine sichere Infrastruktur. Durch eine Politik, die Probleme löst, statt sie zu dramatisieren. Der Einsatz gegen Rassismus und Diskrimierung gelingt nicht mit Sprachregelungen, sondern mit Begegnung, Bildung und Aufklärung. Der Staat darf sich dabei nicht als Erzieher aufspielen, sondern muss sich auf seine eigentliche Rolle besinnen: Dienstleister der Bürger.

Es ist kein Zeichen von Stärke, wenn sich Politik in Nebenschauplätzen verliert. Es ist ein Zeichen von Schwäche, wenn sie auf Empörung reagiert, statt Orientierung zu geben. Unsere Schulen brauchen Investitionen, nicht Ideologie. Unsere Verwaltung braucht Digitalisierung, nicht neue Vorschriften. Und unsere Gesellschaft braucht Zusammenhalt, nicht künstliche Spaltung.

Veränderung ist nichts Schlechtes. Aber sie braucht Augenmaß. Sie braucht Vertrauen. Und sie braucht Mut, auch einmal loszulassen. Nicht alles, was neu ist, muss geregelt werden. Vieles regelt sich von selbst. Und genau darin liegt eine große Chance. Politik muss nicht alles bestimmen. Sie muss den Rahmen schaffen, in dem Menschen selbstständig leben, arbeiten und entscheiden können.

Was wir brauchen, ist eine Rückkehr zu gesundem Menschenverstand. Zu einer Politik, die die Lebenswirklichkeit kennt. Die sich nicht an Schlagzeilen orientiert, sondern am Alltag. Die nicht bevormundet, sondern befähigt. Eine Politik, die sagt, was ist, und tut, was nötig ist. Denn am Ende zählt nicht, was wir diskutieren. Sondern was wir tun.

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