Am zweiten Sonntag im Mai stehen Mütter im Mittelpunkt. Es ist ein Tag, an dem vielerorts Blumen verschenkt, Frühstückstabletts vorbereitet und warme Worte ausgesprochen werden. Der Muttertag ist ein Zeichen der Wertschätzung. Und das ist gut so. Denn wer sich um Kinder kümmert, sie großzieht, für sie verzichtet, arbeitet und sorgt, verdient Anerkennung. Aber ein Tag im Jahr reicht nicht aus. Es braucht mehr als symbolische Gesten. Es braucht einen realistischen Blick auf das, was Frauen in unserer Gesellschaft leisten, was sie leisten müssen und wo sie trotz aller Fortschritte immer noch benachteiligt sind.
Wer sich die Lebensrealität vieler Frauen anschaut, merkt schnell, dass von echter Gleichstellung oft nur die Rede ist, wenn Kameras laufen oder Reden gehalten werden. In der Praxis tragen Frauen nach wie vor die Hauptlast der familiären Verantwortung. Auch heute sind es vor allem Mütter, die beruflich zurückstecken, um sich um Kinder zu kümmern. Auch heute sind es überwiegend Frauen, die in Teilzeit arbeiten, schlecht bezahlte Berufe ausüben oder unbezahlte Sorgearbeit leisten. Das betrifft längst nicht nur Einzelfälle. Es ist ein strukturelles Problem, das sich in Lebensläufen, Rentenansprüchen und Karrierechancen widerspiegelt.
Dabei wird die Leistung von Müttern gern idealisiert. Das klassische Bild der fürsorglichen Mutter, die mit Geduld und Hingabe das Familienleben zusammenhält, lebt in vielen Köpfen weiter. Doch diese Verstellung ist doppelt ungerecht. Sie macht Frauen einerseits für alles verantwortlich, was in der Familie passiert, und nimmt ihnen andererseits die Chance, sich jenseits davon frei zu entfalten. Wer sich entscheidet, Kinder großzuziehen, darf dabei nicht beruflich ins Abseits geraten. Wer Karriere macht, darf nicht ständig gegen unterschwellige Vorwürfe ankämpfen, dem Kind fehle es an Zuwendung.
Es reicht nicht, Gleichstellung auf dem Papier zu fordern. Sie muss im Alltag sichtbar werden. In den Betrieben. In den Verwaltungen. In den Familien. Dazu gehört, dass Männer mehr Verantwortung im Haushalt und bei der Kinderbetreuung übernehmen. Dazu gehört, dass Arbeitgeber flexible Arbeitszeiten ermöglichen, die nicht automatisch Frauen benachteiligen. Und dazu gehört ein Bildungswesen, das Mädchen und Jungen ermutigt, ihren Weg unabhängig von Rollenbildern zu gehen. Noch immer gibt es Berufsfelder, in denen Frauen unterrepräsentiert sind. Noch immer sind Führungspositionen in Wirtschaft und Politik mehrheitlich männlich besetzt. Das liegt nicht an mangelnder Qualifikation, sondern oft an fehlenden Chancen und veralteten Vorstellungen.
Gleichstellung bedeutet nicht, Unterschiede zu ignorieren. Es bedeutet, gleiche Rechte und echte Wahlfreiheit zu schaffen. Eine Mutter, die sich für ihre Familie entscheidet, verdient denselben Respekt wie eine Frau, die sich für den Beruf entscheidet. Und umgekehrt. Der Staat darf keine Lebensentwürfe bevorzugen. Aber er muss Rahmenbedingungen schaffen, die allen ermöglichen, ihre Potenziale zu entfalten. Dazu zählt eine verlässliche Kinderbetreuung genauso wie faire Bezahlung. Dazu zählt die Anerkennung von Erziehungszeiten in der Rente genauso wie der Abbau von bürokratischen Hürden für berufstätige Eltern.
Auch im kommunalpolitischen Alltag begegnen uns diese Themen immer wieder. Wenn es um Krippenplätze geht. Um Schulwege. Um Öffnungszeiten von Einrichtungen. Und nicht zuletzt um die Frage, wie familienfreundlich unsere Städte und Gemeinden wirklich sind. Wer hier Verantwortung trägt, muss zuhören, verstehen und handeln. Muttertag ist daher nicht nur ein Tag der Blumen, sondern auch ein Tag der offenen Fragen. Er erinnert uns daran, dass wir als Gesellschaft noch nicht am Ziel sind. Dass Gleichberechtigung kein Zustand, sondern ein Prozess ist. Und dass wir diesen Prozess nur gemeinsam voranbringen können.
Die Rolle der Frau hat sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt. Zum Glück. Heute treten viele Frauen selbstbewusst auf, fordern ihren Platz und gestalten unsere Gesellschaft mit. Sie tun das als Mütter, als Berufstätige, als Ehrenamtliche, als Bürgerinnen. Das verdient Respekt. Nur nur am Muttertag, sondern an jedem Tag im Jahr. Deshalb gilt es, nicht nur zu feiern, sondern auch zu fragen: Wo stehen wir, wo wollen wir hin und was sind wir bereit zu ändern, damit aus gleichen Rechten auch gleiche Chancen werden?