Pflichtgefühl statt Selbstdarstellung – was zählt in der Pflege wirklich?

Pflege ist kein Beruf wie jeder andere. Wer in einem Krankenhaus, einem Altenheim oder auf einer Intensivstation arbeitet, trägt Verantwortung für Menschen – nicht für Klickzahlen. Umso mehr sorgt ein Trend in sozialen Netzwerken für Unverständnis: Beschäftigte, die mitten im Dienst – in Dienstkleidung, in Ihrer Einrichtung – Livevideo auf Plattformen wie TikTok oder Instagram streamen.

Was man aus Tankstellen, Supermärkten oder dem Lieferwagen kennt, hat inzwischen auch Bereiche erreicht, in denen Zurückhaltung und Diskretion eigentlich selbstverständlich sein sollten. Ob an der Kasse, an der Zapfsäule oder auf dem Pausenhof – überall tauchen Clips auf, in denen Menschen live von der Arbeit senden. Das mag unterhaltsam sein oder harmlos wirken. In der Pflege aber hat es nichts zu suchen.

Wer eine Pflegeeinrichtung betritt, tut das meist nicht freiwillig, sondern aus Not, Sorge oder Krankheit. Wer dort arbeitet, weiß um die Verantwortung, die mit diesem Beruf verbunden ist. Umso irritierender ist es, wenn ausgerechnet in solchen Situationen das Handy gezückt wird – für Likes, Kommentare und Reichweite.

Natürlich ist es richtig, auf Missstände aufmerksam zu machen. Wer überfordert ist, darf das sagen. Wer bessere Bedingungen fordert, soll Gehör finden. Aber das hat eine Form zu wahren. Der Livestream von der Station, dem Dienstzimmer oder dem Flur ist nicht der richtige Weg. Denn solche Aufnahmen gefährden Vertrauen – und sie überschreiten Grenzen.

Immer wieder sind in diesen Videos persönliche oder sogar medizinisch sensible Daten zu sehen. Bildschirme im Hintergrund, Gesprächsfetzen, Namensschilder oder einfach das erkennbare Umfeld – all das kann ausreichen, um Menschen zu identifizieren. Das darf nicht passieren. Arbeitszeit ist keine Bühne. Und der Pflegeberuf ist kein Unterhaltungsformat.

Die Verantwortung liegt nicht nur bei den Einzelnen, sondern auch bei den Einrichtungen. Klare Regeln, Verhaltensstandards und Schulungen zur Medienkompetenz gehören zum Berufsalltag. Wer mit Menschen arbeitet, braucht nicht nur Fachwissen, sondern auch ein sicheres Gespür für Grenzen – gerade dann, wenn moderne Technik das Einhalten dieser Grenzen schwerer macht.

Pflegekräfte, die ihren Beruf ernst nehmen, verdienen Rückhalt. Sie sind belastet, oft überfordert und dennoch mit vollem Einsatz dabei. Doch gerade sie leiden unter dem Eindruck, den einige wenige öffentlichkeitswirksame Selbstdarsteller hinterlassen. Wenn Pflege auf Vertrauen beruht, darf dieses Vertrauen nicht durch Reichweitenjagd beschädigt werden.

Es geht nicht darum, Social Media zu verteufeln. Es geht um Maß und Verantwortung. Wer im Pflegebereich arbeitet, steht in einem besonderen Verhältnis zu Menschen, die sich nicht wehren oder äußern können. Diese Menschen verdienen Respekt – nicht als Teil eines Livestreams, sondern als das, was sie sind: schutzbedürftig, verletzlich und auf Hilfe angewiesen.

Wenn wir Pflege ernst nehmen wollen, dann müssen wir ihren Grenzen wieder klarer ziehen. Für die, die gepflegt werden. Und für die, die pflegen.

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